Donnerstag, 8. August 2013

Schlußstrich oder literarischer Werkstattbericht?

Herta Müller: Der Teufel sitzt im Spiegel, Rotbuch Verlag 1991, ISBN 3 88022 767 5,  DM 26.--.
Der Teufel sitzt im Spiegel. Dort soll er auch bleiben, denn dieses Buch macht mir genug zu schaffen. Was soll denn das? Kein Roman, keine Erzählungen, keine Essays, keine philosophischen Abhandlungen - zumindest nicht im traditionellen Sinn. Was dann? Texte. Einfach Texte. Wie gut, dass es diesen verallgemeinernden Begriff gibt. Texte von Herta Müller. Texte, die es aber in sich haben. Ich lese mich durch den ersten, den zweiten, den... Es langt. Auf die folgenden verzichte ich. Dann lese ich doch weiter und weiter. Texte über das Bücherschreiben. Natürlich nicht über das allgemeine Bücherschreiben, sondern über Herta Müllers Art zu schreiben.
Eine zügellose Phantasie, die alle gesellschaftlichen Normen mißachtet, sie als Fesseln empfindet, entblößte sich in der Sprache und kreierte die bisherigen Werke. Angeboren, oder beeinflußt von der Enge des Dorfes? "Was ich im nachhinein noch genau weiß, was mich daran erschreckt, ist, daß ich damals nicht vor der erfundenen Wahrnehmung Angst hatte, sondern vor der Tatsache, daß man das weiß. Meine größte Arbeit war, das, was im Kopf stand, zu verstecken. Das Täuschen war die Arbeit meiner Kindheit." Jeder kannte jeden. Da konnte doch nichts verborgen bleiben. Die nagende Indiskretion entfesselte hier einen literarischen Abwehrmechanismus. "Insofern war eine Ebene meines Schreibens das banatschwäbische Dorf und meine Kindheit... Auf dem Land war der deutsche Frosch der Aufpasser, der Ethnozentrismus, die öffentliche Meinung. Der deutsche Frosch legitimierte diese Kontrolle des einzelnen mit einem Vorwand. Der Vorwand hieß: Bewahren der Identität."
Dieser in der Kindheit der Schriftstellerin zu suchende Verfolgungswahn erwies sich später als böse Vorahnung einer dann eingetretenen staatsbehördlichen Verfolgung. "Es waren Jahre des Frosches, die Jahre in Rumänien. Zum deutschen Frosch kam der Frosch des Diktators hinzu. Vielleicht reichen 32 Jahre des Frosches aus, sich den wachsamen Blick anzueignen, bei allem, was man sieht." Die Unerträglichkeit des unmittelbar Erlebten entlud sich schließlich im Schreiben. "Es ist immer, wenn ich schreibe, der Punkt erreicht, wo ich mit mir selber (und das heißt auch mit dem, was mich umgibt) nicht mehr umgehen kann." Unter dem Diktat der Zensur gedieh oder wucherte eine Durch-die-Blume-Sprache, bei Herta Müller eine Durch-die-Dornen-Sprache. "Der verschwiegene (ausgelassene) Satz muß mit der gleichen Lautstärke sprechen wie der geschriebene Satz." Das Absurde, auch Abstruse, entwickelte sich zu einem poetischen Credo, das maßlosen Übertreibungen in entstehenden Phantasiegebilden Raum öffnete. "Ich muß die poetische Abweichung ins Unmaß an jeden Punkt der Erfahrung, die ich jemals gemacht habe, ansetzen. So kommt es, daß selbst Autobiographisches, Eigenes im engsten Sinne des Wortes, nur noch im weitesten Sinne des Wortes mit meiner Autobiographie zu tun hat." Dieses angeeignete oder auch aufgebürdete Credo konnte sich bis zur Abstraktionierung der Schreibenden selbst steigern. "Die Person, die schreibt, ist eine erfundene Person. Auch für sich selbst." Das Resultat dieser Entwicklung ist bekannt. Es hat zu Bewunderung und Anerkennung ebenso wie zu Verachtung und Ablehnung geführt.
Hier muß doch wohl die Frage erlaubt sein, ob literarisches Schaffen im Trancezustand ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit vermitteln kann. "Ich war unerreichbar für mich während des Schreibens. Ich war es nicht gewesen, denn ich hatte mit mir, wie ich bin, nachdem ich den Text geschrieben habe, nichts zu tun." Oder sollen diese Beichtsätze gar als eine Entschuldigung für anmaßende literarische Entgleisungen, etwa im Sinne eines politischen Blackouts, aufgefaßt werden? Es klingt fast wie Resignation vor der eigenen Kreativitätswut, wenn es einige Seiten weiter heißt: "Und jedesmal habe ich den Eindruck, durch diese Sätze etwas in Gang gesetzt zu haben, was ich weder beeinflussen noch verantworten kann." 
Nur keine Angst oder falsche Hoffnungen: Herta Müller schreibt weiter, aber keine Romane oder Erzählungen in altbewährter, für jeden Durchschnittsbürger zugänglichen Form, sondern in Bildern. "Ich glaube, die erfundene Wahrnehmung verläßt sich in ihrer Ganzheit auf Bilder. Ich glaube auch, daß die erfundene Wahrnehmung Worte gar nicht mag. Daß es deshalb so lange dauert, bis ich weiß, wie der Satz, den ich schreibe, sich selber sieht." Wer weiß, was es heißt, eine moderne Kunstausstellung zu besichtigen, der kann sich auch vorstellen, was es heißt, ein Buch von Herta Müller zu lesen. Man hat da wie dort seine Probleme, versucht man doch manchmal vergebens, das wirklich Schöne in so viel Geometrie zu finden. "Ja, da waren rundherum nur Gegenstände, die bestimmten, was ich tat. Und sie bestimmten noch viel mehr. Auch was ich mir dachte, bei dem, was ich tat." Selbst ein sich wandelndes Straßenbild führt zu Irritationen durch eine bis zum Nonsens gesteigerte Negation des wahrgenommenen Augenblicks. "Und die Wahrnehmung wird, da ich als andere aus der Irre komme, eine andere, als sie vorher geworden wäre. Auch hat sich die Straßenseite, für die ich mich dann doch entschieden habe, in der Zeit, in der ich das tat, schon geändert: die Gegenstände, wo die Haut zu Ende ist, sind anders. Die Gesichter, die Autos. Ich habe nicht mehr die Möglichkeit, auf der Straße zu gehen, auf der ich vorher gegangen wäre."
Wird es eine andere literarische Straße für Herta Müller geben? Die Vergangenheit ist zwar nicht verdrängbar. Sie lebt in Äußerlichkeiten, nach denen Betroffene immer Ausschau halten. "Die Lautsprecherstimme sagte mir, was ich gesehen hatte: der Mann kam aus Rumänien... Ein ganzes mir bekanntes Land, saß am Nebentisch. Ich hatte es sofort wiedererkannt." Die Vergangenheit rückt aber immer weiter ab. Und sie überlistet die Menschen. Sie schwächt die Härten erlebter Schikanen ab.
Es geht auch Herta Müller so. Man kann das aus der Sprache des zweiten Buchteiles herauslesen. Die "Texte über Augen und Sinne" lassen sogar die Vermutung zu, daß die vorangestellten "Gedanken zum Schreiben" ein Schlußstrich sein könnten. Trotzdem ist Vorsicht geboten, denn "der Teufel sitzt im Spiegel".
Mark Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 27. Oktober 1991

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