Operation gelungen
- Patient tot. Ein Staat wurde zu Grabe getragen (gefeiert) und das
merkwürdigste Begräbnis der Menschengeschichte wurde zu einem der größten
Medienspektakel der Neuzeit. Der Totenschmaus begann lange bevor die
Glocken den Untergang besiegelt und den Neuanfang eingeläutet hatten. Tränen
waren nicht gefragt. Die waren schon Monate vorher vergossen worden, und auch
sie waren damals kein Ausdruck der Trauer, sondern ein Opfer des Dankes "an
die Freude".
Natürlich wäre es
höchst unanständig, sich angesichts des Todes zu freuen. Das taten die
Deutschen am 3. Oktober 1990 auch nicht. Ihre eher verhaltene Freude galt
ausschließlich der dem Tode der DDR folgenden Vereinigung. Die Deutschen-Ost
waren zu sehr mit ihren Alltagssorgen belastet und den Deutschen-West saß die
Angst um die von Schwarzmachern an die Wand gemalten Opfergänge für die
Einheit im Nacken, um uneingeschränkte Freudengefühle dominieren zu lassen.
Der goldene
Mittelweg zwischen Trauer und Freude war ein festliches Gleiten in eine neue
Zeit. Sekt, Bier, Musik und Feuerwerke gehörten nun mal zu diesem
Totenschmaus-Geburtstagsfeier-Staatsakt.
Was den ersten
"Tag der Deutschen Einheit" aber am nachhaltigsten geprägt hat, war
die Atmosphäre in den mit Blumen geschmückten Festhallen und Konzertsälen
Deutschlands. Man war sich der Einmaligkeit dieses geschichtlichen Ereignisses
jederzeit bewußt. Das Gefühl, aus der Verdammung der Geschichte zu neuem Leben
auferstanden zu sein, hat den vorangegangenen Tod eines menschenunwürdigen
Staatengebildes zu Recht sehr schnell aus dem Gedächtnis der Menschen
verdrängt, obzwar erst dieser Tod die Auferstehung ermöglicht hat.
Nie zuvor ist Ludwig
van Beethovens Neunte Symphonie so oft auf deutschem Boden erklungen wie an
diesem Tag. Und das mit Recht, denn nie zuvor ist ein Staat von der Landkarte
verschwunden, ohne daß Menschen dabei ihre Heimat verloren haben. Beim
Verschwinden der DDR haben viele Menschen in Ost und West ein neues
Sicherheitsgefühl vermittelt bekommen. Erst jetzt sind die Folgen des Kalten
Krieges aus der Welt geschafft und, damit dem Bangen um die angestammte Heimat
jede Grundlage entzogen wird, mahnt man den verbindenden Charakter, den Grenzen
auch haben können, an. Obzwar geänderte Grenzinterpretationen nicht über auch
weiterhin existierende Unterschiede im Lebensstandard der Menschen in Europa
hinwegtäuschen können, sind sie eine Gewährleistung dafür, daß Gegner von
gestern Partner von morgen werden können.
Man denkt an
solchen Tagen, die man als Meilensteine der Geschichte empfindet, an viele
Dinge, die oft zu überraschenden Assoziationen führen. Da ist doch wieder
dieses Bild der Großväter, die den Sonntagnachmittag beim Kartenspielen
verbrachten. Da wurde doch nicht nur gespielt, sondern auch politisiert.
Erinnern wir uns mal: "Un ich son eich, des kummt doch soweit." -
"Do misse sich awwer es erscht die Russe un die Amerikoner verstehn."
- "... Mer werre des nemmi erlewe."
Deutschland, einig
Vaterland, war schon vor zwanzig und dreißig Jahren ein selbstverständlicher
Gesprächsstoff an den Kartentischen der banat-schwäbischen Dörfer. Das ihnen
eigene, als angeboren empfundene Zugehörigkeitsgefühl zum deutschen Volk ließ
diese Männer regen Anteil am schmerzhaften Schicksal Deutschlands nehmen.
Die meisten von
ihnen haben ein in Freiheit geeintes Deutschland nicht mehr erlebt. Die
Gesinnung unserer im Banat ruhenden Väter und Großväter rechtfertigt aber den
schnelleren Rhythmus unserer Herzschläge, den wir fühlten, als es am ersten
Tag der Deutschen Einheit durch die Lüfte hallte: "Freude, schöner
Götterfunken, / Tochter aus Elysium, / Wir betreten feuertrunken, / Himmlische,
dein Heiligtum. // Deine Zauber binden wieder, / Was die Mode streng
geteilt, / Alle Menschen werden Brüder, / Wo dein sanfter Flügel weint."
Anton Potche
aus BANATER POST, München,
20. Oktober 1990
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