Dienstag, 11. September 2018

„Mer sin doch Landsleit!“

Der Vorstand des Münchner Kreisverbandes absolvierte einen zweckmäßigen Stadtbesuch in Neuburg an der Donau


Was kann man an einem verregneten Samstag, von denen uns dieses Jahr einige beschert hat, unternehmen? Ein erfahrener Reisender wie Franz Andor, der Vorsitzende des Kreisverbandes München unserer Landsmannschaft, weiß da Bescheid. Man veranstaltet einen Stadtbesuch. Und wenn sich dann noch die Gelegenheit bietet, eine Stadt zu besuchen, die einen den Banater Schwaben durch seine Abstammung wohlgesinnten Bürgermeister hat, dann darf man sich sogar auf einen Empfang im Rathaus freuen.
Genau so geschah es am – natürlich verregneten und saukalten – Samstag, dem 14. September 1996. Franz Andor machte sich per Bahn – Wochenendtarife muß man bei der DB einfach nutzen – mit den Vorstandsmitgliedern des Münchner Kreisverbandes und deren Gattinnen auf den Weg nach Neuburg a.d. Donau. Auch Hilde Seitz und Traudl Mehringer vom Patenverein Waldfrieden Großhadern gehörten zu der Reisegruppe.
Durch die breit angelegte, mit anmutigen Villen gesäumte Bahnhofstraße gelangten die Münchner in die Altstadt und über einen imposanten Treppenüberbau ins Rathaus, wo Oberbürgermeister Hans-Günter Huniar sie begrüßte. Wo sonst die Neuburger Ratsherren (Stadträte) die Geschicke ihrer Stadt lenken, saßen nun die Banater Schwaben aus München und lauschten den Erläuterungen des OB, der mit einem ansprechenden Auftakt – „Mer sin doch Landsleit!“ – erst gar keine Befangenheit aufkommen ließ.
Natürlich hat auch Hans-Günter Huniar, wie wohl alle seine Amtskollegen in diesem Land, seine Sorgen. Und die gelten in erster Reihe den arbeitslosen Menschen. Neuburg a.d. Donau hat 30.000 Einwohner und ist dank einiger Industrieniederlassungen und eines tüchtigen Mittelstandes nicht überproportional von der Arbeitslosigkeit betroffen. Die Nähe von Audi in Ingolstadt wirkt sich auch positiv auf den Arbeitsmarkt aus. Trotzdem liegt jeder Arbeitsuchende dem OB besonders am Herzen, weswegen ihm neue Investoren schon recht wären.
Neuberg a.d. Donau ist eine „Große Kreisstadt“, die Zuständigkeiten im Fischerei- und Baurecht, dem Bereich Volks- und Realschulen und in anderen Verwaltungsangelegenheiten wahrnimmt. Und der Oberbürgermeister? Ja, an diesem Titel scheint der lebensfrohe und in so manchen politischen Schlachten (leider auch wegen etlichen Abwehrgefechten gegen unfaire und schmutzige Angriffe von unpolitischen Interessenverfechtern geprägt) erprobte Hans-Günter Huniar seine Freude zu haben, denn er nennt ihn ein Relikt aus der Zeit, als Neuburg a.d. Donau noch eine „Kreisfreie Stadt“ war. Bei der letzten Gebietsreform 1972 hat Neuburg seine „Freiheit“ zugunsten des oberbayerischen Landkreises Neuburg-Schrobenhausen eingebüßt. Der OB-Titel ist aber geblieben, obwohl er eigentlich nur von Stadtoberhäuptern kreisfreier Städte getragen wird. Ein besonderer OB ist Hans-Günter Huniar also allemal. Daß er stets auch bestrebt ist, Besonderes für die Lebensqualität seiner Stadt zu tun, zeigen nicht zu guter Letzt die ca. 300 Neubürger, die sich jährlich hier niederlassen.
Hans-Günter Huniar nannte seine Stadt einen Geheimtipp für städtebauliche Beschaulichkeit. Wer mit offenen Augen durch die historische Oberstadt – früher hieß es: „Wer was ist und wer was hat, wohnt in der Oberstadt.“ – und die von architektonischer Modernität aufgewertete „Untere Stadt“ geht, wird sehr viele angenehme Eindrücke aus dieser Donaustadt, in der jährlich eine aus Ulm kommende Ulmer Schachtel auf ihrer Reise nach Wien, Budapest oder bis zum Schwarzen Meer anlegt, mit nach Hause nehmen.
Die Münchner spürten, daß sie einen Mann vor sich hatten, der sein Amt nicht nur mit Sachverstand, sondern vor allem mit viel Herz ausfüllt. Als er ihnen dann noch erzählte, dass er sich am nächsten Tag auf den Weg ins Banat machen würde, um endlich die Orte der Herkunft seiner Eltern (Vater aus Marienfeld, Mutter aus Albrechtsflor) kennenzulernen, waren sie sich sicher, daß ihr bis dahin nicht ausgesprochenes Vorhaben richtig war.
Weil Franz Andor es schon immer verstand, das Schöne mit dem Nützlichen zu verknüpfen, lud er den Oberbürgermeister der Stadt Neuburg a.d. Donau, Hans-Günter Huniar, als Schirmherr und Festredner zum „Großen Schwabenball, der am 11. Januar 1997 im Münchner Pschorrkeller über die Bühne geht, ein. Bekräftigt wurde diese Einladung mit einem Päckchen Banater Bratwurst – vielleicht hat der OB diese gleich als Stärkung mit auf seine Banatreise genommen – und einem Bierglas, gestiftet vom Patenverein Waldfrieden. „Banater Brotworscht und bayerisches Bier han schun immer zammgepasst.“
Über die Geschichte seiner Stadt hat Hans-Günter Huniar seinen Gästen nichts erzählt; das hat er einer charmanten und sehr gut informierten Stadtführerin überlassen. Margot von Heßling hat sich der Gruppe aus München angenommen und den wißbegierigen Banater Schwaben die Historie Neuburgs a.d. Donau, der Stadt der Renaissance und des Barock, in lebhaften, von Prinzen und Prinzessinnen, Grafen und Gräfinnen, mit all ihren Stärken und – oft zum Schmunzeln anregenden – Schwächen beherrschten Bildern näher gebracht. Spätestens als die Banater Schwaben im imposanten Schloßhof erfuhren, daß die umliegenden Gemächer wahrscheinlich vorübergehend auch von Elisabeth Amalie von Hessen-Darmstadt, der zweiten Frau des Pfalzgrafen und Kurfürsten Philipp Wilhelm (1615 bis 1690), bewohnt wurden, spürten sie den Atem der Geschichte, der im 18. Jahrhundert auch die Geburt ihres Volksstammes ermöglicht hat. Die Gräfin schenkte nämlich 17 Kindern das Leben. Der als Schwiegervater Europas bekannte Vater hat diesen reichen Segen voll zugunsten seiner politischen Ziele wirken lassen. So wurde einer der Töchter, Eleonora von Pfalz-Neuburg, durch ihre Ehe mit Kaiser Leopold I. zur Großmutter Maria Theresias.
Nach einem kräftigen Mittagessen in einer gutbürgerlichen Wirtschaft ließen die Münchner ihren Ausflug nach Neuburg a.d. Donau mit einem Besuch des über die Donaustadt hinaus bekannten Töpfermarktes ausklingen.
Anton Potche

aus BANATER POST, München, 20. Oktober 1996

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