Während vom Bayerischen Wald bis zum Atlantischen Ozean freundliche Sonnenstrahlen die Menschen in frühlingshafte Aufbruchstimmung versetzten, hingen über der ungarisch-österreichischen Staatsgrenze schwere Regenwolken. Ungarische Grenzsoldaten, noch in Winteruniform, erfaßt von einer fieberhaften Abbruchstimmung, rissen unter der Aufsicht hochrangiger Offiziere und vor laufenden Fernsehkameras die Grenzzäune zu ihren österreichischen Nachbarn nieder, als wollten sie die Frühlingssonne gegen Osten locken.
Ein Medienspektakel ohnegleichen flimmerte am Abend des 2. Mai 1989 über die Bildschirme des freien Europa. Alle Nachrichtenagenturen berichteten über das Ereignis, das zu vielen Zukunftshoffnungen berechtigt: Um 12.27 Uhr desselben Tages begannen ungarische Grenztruppen mit dem Abbau der Sperranlagen, die Ungarn von Österreich und Osteuropa von Westeuropa trennen.
Der Chor, der die erste Bresche im "Eisernen Vorhang" mit Jubel- und Lobeshymnen begrüßt hat, ist berechtigterweise groß und seine Mitglieder kommen aus allen sozialen Schichten und politischen Richtungen. Nur wir Banater Schwaben dürfen uns beim Anblick der stacheldrahtlosen Pußta nicht zügelloser Euphorie hingeben.
Schon einmal in diesem Jahrhundert durften die Banater Schwaben die Freude des deutschen Volkes über das Ende des Schreckens und seine vom Neuanfang gezeugten Hoffnungen nicht teilen. Während man sich in Deutschland einem menschenwürdigen Dasein mit entschlossenen Schritten näherte, wurden die Banater Schwaben in Zwangsarbeitslager und unwirtliche Steppen verschleppt.
Heute, nach 40 Jahren, wenn ein großer Teil Europas sich über gegenseitiges Näherkommen freut, müssen wir, die ins Mutterland zurückgekehrten Banater Schwaben, den Fall der ungarisch-österreichischen Staatsgrenze mit kühlem Realismus betrachten. Jeder von uns, der die Auswanderungsagonie schon im eigenen Herzen herumgetragen hat, kann sich vorstellen, welche Wirkung dieses Ereignis auf unsere Landsleute im Banat haben wird. Besonders junge Menschen werden der Versuchung, ihr Heil in der Flucht zu suchen, noch schwerer als bisher widerstehen. Vor dem rettenden Ufer, das für sie seit dem 2. Mai 1989 in greifbare Nähe gerückt ist, steht aber weiterhin ein schwer überwindbarer Todeswall. Die Kugeln könnten möglicherweise noch zielsicherer fliegen und die Schergen des Diktators unbarmherziger zuschlagen.
Es ist weniger die Erkenntnis, daß die vorsichtigen Demokratisierungsversuche einiger Ostblockstaaten für uns viel zu spät kommen, die uns bedrückt, als vielmehr die Tatsache, daß die ersehnte Freiheit für die Rumänen und die nationalen Minderheiten Rumäniens weiterhin Utopie bleibt.
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 20. Juni 1989
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