Donnerstag, 2. November 2017

Ein Banater Schwabe kandidiert für den Stadtrat in Ingolstadt

Viele Jahre lang wurde Ingolstadt nur im Zusammenhang mit der Firma Audi erwähnt. Wer heute Stadt und Automarke in einem Atemzug nennt, darf guten Gewissens „nur“ mit „auch“ ersetzen. Ingolstadt ist längst aus dem Schatten Audis getreten und hat sich als moderne Großstadt des Freistaates etabliert.
Die einst verschlafene Garnisonsstadt, in der Marieluise Fleißer (1901 bis 1974) die Gestalten für ihre an Brecht angelehnten Bühnenwerke traf und literarisch verewigte, erlebte nach dem Zeiten Weltkrieg eine rasante Entwicklung. Noch im Jahre des Kriegsendes gründeten ehemalige Führungskräfte der Auto Union AG, Chemnitz, in Ingolstadt das Zentraldepot für Auto Union Ersatzteile GmbH. Der Aufbruch in ein neues, friedliches, von Wirtschaftswundern und folgenden Konjunkturschwankungen geprägtes Zeitalter der fast grenzenlosen Mobilität hatte auch für die „Vier Ringe“ (Audi, Horch, DKW, Wanderer) begonnen.
Die Menschen im Raum Ingolstadt fanden Arbeit und Brot. Auch die vielen Vertriebenen konnten ihr Fachwissen, gepaart mit einer aus persönlichem Leid erworbenen sozialen Sensibilität, in die Produktionsprozesse des sich zum Konsumgut entwickelnden Autos einbringen. Der schon fast legendäre Audi-Betriebsratsvorsitzende Fritz Böhm und auch sein Nachfolger Erhard Kuballa, die die Interessen der Arbeitnehmer jahrzehntelang erfolgreich vertreten haben und beide noch immer dem Ingolstädter Stadtrat angehören (SPD), sind Vertriebene.
Die damals argwöhnisch beäugten Fremden wähnten ihre einzige Überlebenschance in einem wirtschaftlich und menschlich ausgebluteten Deutschland im Zupacken. Risikobereitschaft und schonungsloser Einsatz führten zu neuen Ufern. Firmennamen wie Möbel Wagner oder Mode Maltry bürgen heute noch für den erfolgreichen Unternehmergeist der Vertriebenengeneration. Ingolstadts Einwohnerzahl hatte sich schlagartig vergrößert und die Kleinstadt – ca. 30.000 Einwohner bei Kriegsende – war aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht.
In den siebziger Jahren setzte der Zuzug vieler Aussiedler – bis 1992 besonders aus Rumänien – ein. Audi wirkte wie ein Magnet auf die in Metallberufen gut ausgebildeten Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen, und die traditionellen Familienbande taten ein Übriges. Heute leben schätzungsweise 10.000 Angehörige dieser Volksgruppen in Ingolstadt (110.000) Einwohner).
Rein zahlenmäßig betrachtet, hat ihr Kommen Ingolstadt zur Großstadt etabliert, was nicht nur mehr Stadträtinnen und –räte in Amt und Würde gebracht hat, sondern auch den allgemeinen Betrachtungswert der Stadt für Außenstehende anhob und nicht zuletzt das Interesse von potentiellen Investoren schärfte.
Die Vereinigung der Banater Schwaben in Ingolstadt e.V. leistet einen wesentlichen Beitrag zur Imagepflege unserer Landsleute. Auch Persönlichkeiten aus dem örtlichen Kulturbetrieb wie Michael Bleiziffer (Theater) und Bernd Maltry (Musik) oder auch aus der Wirtschaft wie etwa der aus Jahrmarkt stammende Unternehmer Franz Predoiu (Dentallabor), die kein Hehl aus ihrer Abstammung machen, wenn sie darauf angesprochen werden, tragen dazu bei, daß Banater Schwaben in Ingolstadt längst nicht mehr als Fremde empfunden werden.
Zu diesen Integrationsmerkmalen einer Gemeinschaft gesellt sich in schon logischer Folge auch das politische Engagement einiger ihrer Mitglieder. Schon 1990 hatte die Ingolstädter SPD den damals 29jährigen, aus Kowatschi stammenden Horst Kahles – Beisitzer im Verein der Banater Schwaben  - auf ihrer Liste für den Stadtrat. Trotz eines Platzes in der zweiten Listenhälfte bekam er 9647 Stimmen; und das zu einer Zeit, als hiesige Republikaner auf schändlichste Art und Weise Stimmung gegen die Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen machten.
Die Republikaner sind nach ihrem Höhenflug (1990 – 9,05%) durch interne Querelen zwar in die Bedeutungslosigkeit abgesackt; die Gefahr ist aber nicht gebannt, denn die von den Republikanern abgespaltenen „Freiheitlichen“ sind eben jene Opportunisten, die vor sechs Jahren am unverschämtesten über die Deutschen aus Rumänien schimpften. Diese Gruppierung hat zurzeit drei (von 50) Sitze im Stadtrat und will natürlich auch in der nächsten Legislaturperiode dabei sein.
Johann Metzger (l.) &
Oberbürgermeister Peter Schnell

Foto: Helmut Graf
Quelle: BANATER POST
Umso wichtiger ist es, daß wir Ingolstädter Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen einen wortgewaltigen Fürsprecher im Stadtrat haben. Johann Metzger (41), Vorsitzender der Vereinigung der Banater Schwaben in Ingolstadt e.V. und Vorsitzender des BdV Ingolstadt sowie stellvertretender CSU-Kreisvorsitzender, ist dafür der geeignete Mann. Er will am 10. März die Gelegenheit beim Schopf packen und einen Sitz im Stadtrat erwerben. Die CSU hat ihm einen aussichtsreichen Listenplatz zugeteilt.
Durch diese Kandidatur setzen die Banater Schwaben stellvertretend für alle ortsansässigen Aussiedler den Heimatfindungsprozeß der Vertriebenen nahtlos fort und tragen so wesentlich zur Bereicherung aller Lebenszweige dieser in ungebrochenem Wachstum befindlichen Stadt mit mittelalterlichem Flair, bundesweit einzigartigen Museen (Bayerisches Armeemuseum, Deutsches Medizinhistorisches Museum), aber auch mit nur hier vorzufindenden Festungsanlagen in zirkularem und polygonalem Stil, bei.
Der Wahlkampf läuft auf Hochtouren und treibt seltsame Blüten. Politik, ein langweiliges Geschäft? Von wegen; man muß bloß hingucken. Endlich wird in Ingolstadt nach 20 Jahren vergeblichem Hin und Her mit dem Bau der dritten Donaubrücke begonnen, da wollen die Grünen das Vorhaben mit einem Bürgerbegehren stoppen. Prompt startet die SPD ein neues Bürgerbegehren zum Weiterbau der Brücke und am Samstagmorgen taucht der CSU-Bürgermeister mit zahlreicher Parteigefolgschaft in der belebten Fußgängerzone auf, um sich in die SPD-Liste einzutragen. Richtig skurril wird die Situation aber erst durch die lang angestrebte und dann an der Brücke zerschellte Wahllistenverbindung der Roten und der Grünen. Wer wohl der Nutznießer dieser Situation sein wird, ist unschwer zu erkennen. Die Roten werden sich insgeheim schwarz ärgern, während die Grünen die Sache sowieso nicht allzu ernst, dafür aber umso menschlicher betrachten, wirbt ihr OB-Kandidat, der erfolgreiche Kabarettist Günter Grünwald doch mit dem frommen Wunsch: „Viel Spaß beim Verkehr – aber nicht auf der Straße!“
Die Banater Schwaben in Ingolstadt können angesichts dieses Wahlkampfwirrwarrs ganz cool bleiben. Sie haben ihren eigenen Kandidaten. Johann Metzger kandidiert auf Liste 1, CSU, Platz 14. Wenn alle Wahlberechtigten Landsleute in Ingolstadt eine 3 vor den Namen Johann Metzger setzen, erweisen sie nicht nur ihrem engagierten Landsmann einen Dienst; sie bekennen sich durch ihre Stimmabgabe für Metzger zu ihren gemeinsamen Wurzeln – ohne deren bewusste Wahrnehmung man ewig einem unruhigen Suchergeist erliegt – und legen einen Grundstein für die Zukunftsgestaltung in dieser Stadt, in der sie gerne leben.
Anton Potche

aus BANATER POST, 20. Februar 1996

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