In einer Zeit, in der Politiker verschiedener Couleur die Vorurteile einiger Bürger zu emotionaler Stimmungmache mißbrauchen, schlägt ein Ingolstädter Pfarrer einen nachahmenswerten Weg ein, der zum Abbau von Mißtrauen und zu einem friedlichen Miteinander im Alltag führen soll. Pfarrer und Kammerer Hans Eichenseer verschickte im Juli einen Pfarrbrief an die Mitglieder der Pfarrgemeinde St. Canisius, worin eine kleine, einsame Dohle neben einem mächtigen Gipfelkreuz abgebildet ist. Das Bild ist von folgendem Text umrahmt:
"Liebe Pfarrgemeinde! Armselig und verloren scheint das Dasein einer unscheinbaren Bergdohle unter dem mächtigen Gipfelkreuz auf dem Bild nebenan. In Wirklichkeit beherbergt sie eine großartige Welt: Bergmassive, die Jahrmillionen der Erosion standgehalten haben, einen Horizont, der sich ins Unendliche zu weiten scheint, sowie weite Hänge, die Nahrung und Brutstätten bieten. Sie fühlt sich am Berg daheim, ist ein Teil der Natur. Ihr gehört der Gipfelraum genauso wie die Luft, die sie empor trägt. Sie ist verwurzelt in ihrer Welt.
Verwurzelt sein - das ist etwas Schönes und Notwendiges. Vielen Menschen ist heute das Daheimsein, das Land der Kindheit genommen. Die einen finden sich nicht mehr zurecht in unserer Zeit. Sie suchen vergeblich Ruhe, Idylle und überschaubare Räume ihrer Jugendzeit. . . .
Das Pfarrfest ruft Jahr für Jahr zum gemeinsamen Feiern in die Kirche und auf die Festwiese. Pfarrer und Helfer freuen sich auf jeden, der sich nicht ausschließt und diese 'Gipfelstunden' im Bann des Kirchturms von St. Canisius sucht. Seit etwa 10 Jahren wächst unsere Pfarrei wieder, nicht zuletzt auch dank der Aufnahme und des Zuzugs von Aussiedlern. Doch scheint es für viele von ihnen sehr schwer zu sein, sich einzugewöhnen. Mehr noch als den demokratischen Parteien muß es der Kirche ein Anliegen sein, zu integrieren, Mißverständnisse auszuräumen, im täglichen Leben aufeinander zuzugehen und einem guten Miteinander den Weg zu ebnen.
Schon im Januar haben Pfarrgemeinderat und Kirchenverwaltung dem Vorschlag zugestimmt, beim heurigen Pfarrfest vor allem auch die Aussiedlerfamilien an das Fest heranzuführen. . . .
Am Sonntag, dem 9. Juli, laden wir alle Aussiedler herzlich zum Festgottesdienst mit ein. Lassen Sie sich an diesen Tagen genauso selbstverständlich und selbstbewußt in der Nähe des renovierten Kirchturms nieder - sei es im Kirchenschiff oder auf dem Festplatz - wie der kleine Gast unter dem Dolomitengipfelkreuz. Fühlen Sie sich wie daheim! Es würde alle, die zum Pfarrfest einladen, freuen. Ihr Pfarrer Hans Eichenseer"
In seiner Predigt im Festgottesdienst am Sonntag, dem 9. Juli, zog Pfarrer Hans Eichenseer bildhafte Parallelen zwischen Ereignissen der Bibelgeschichte und dem Schicksal der Aussiedler. Viele Banater Schwaben lauschten ergriffen den Worten des Predigers, der mit besonderem Nachdruck den Leidensweg der Banater Schwaben von der Aussiedlung über geleistete Pionierarbeit, Kriegsopfer, Deportation, bis zu ihren Aussiedlungsgründen schilderte. Mahnend klang der Appell des Priesters von der Kanzel gleichermaßen an Alt- wie Neubürger, Toleranz und Verständnis im Umgang miteinander walten zu lassen.
Als die schweigenden und nachdenklichen Menschen die Kirche verließen, zeigte der Herrgott ihnen auf wunderbar einfache Weise, wie die Zukunft zu bewältigen ist. Er ließ es pünktlich zum Beginn des Pfarrwiesenfestes in Strömen regnen und alle saßen dicht beieinander im kleinen Festzelt - eine kleine Welt des Friedens, bei Gegrilltem und Faßbier.
Die Kunde von diesem Pfarrfest ging schnell über die Grenzen der Pfarrgemeinde St. Canisius, im Ingolstädter Stadtviertel Ringsee, hinaus. Johann Metzger, der Vorsitzende des Kreisverbandes Ingolstadt der Landsmannschaft der Banater Schwaben, bedankte sich in einem Brief bei Pfarrer und Kammerer Hans Eichenseer und verwies darin auf den integrationsfördernden Effekt, den solche Veranstaltungen zwangsläufig haben müssen.
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 20. August 1989
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