Dienstag, 3. Juni 2025

Schnittpunkte der Geschichte

 Prinz Eugen von Savoyen im historischen Festzug zu Ingolstadt

Henricus und Gertrudis Trost sind die zwei ersten Ingolstädter Menschenkinder, die in einem Schriftstück Erwähnung finden. Die Aufzeichnung stammt aus dem Jahr 1254 und wurde von den Ingolstädter Stadtoberen des Jahres 2000 prompt als Anlass genommen, den 750. Geburtstag ihrer Stadt in einem Millenniumsjahr zu feiern. Krönender Höhepunkt einer langen Reihe diesem Ereignis gewidmeter Kulturveranstaltungen war am 23. Juli ein historischer Festzug mit 2820 Teilnehmern, die in epochalen Gewändern, Uniformen und Rüstungen die Geschichte Ingolstadts Revue passieren ließen.
Neben dem gemeinen Volk gaben sich da eine stattliche Anzahl von kriegserprobten Feldherren und gelehrigen Professoren ein ebenso farbenfrohes wie informatives Stelldichein. Natürlich ist ohne die holde Weiblichkeit ein solcher Festzug weder sinnlich noch geschichtsgetreu. Daher ritt auch schon einer der ersten Repräsentanten des Adels, Herzog Stephan der Kneißl (ca. 1337 – 1413) in Begleitung seiner Gemahlin Thaddäa Visconti über das Kopfsteinpflaster und den Asphalt der angeblich von 90.000 Menschen gesäumten Straßen der Altstadt. Herzog Ludwig der Bayer, die wunderschöne Isabeau de Baviere (spätere Königin von Frankreich an der Seite Karls VI.), Dr. Johannes Eck, Kaiser Karl V., der Mathematiker, Physiker, Astronom und Jesuit Christoph Scheiner, General Johann Graf von Tilly, der Komponist Johann Simon Mayr, selbst seine kaiserliche Hoheit Napoleon Bonaparte und viele andere, alles Persönlichkeiten, die in irgendeiner Weise dem Namen Ingolstadt zu Ruhm und Ehre verholfen haben, erwiesen dem Doyen der bayerischen CSU-Stadtoberhäupter, OB Peter Schnell, und dem aus der Landeshauptstadt München angereisten Wissenschaftsminister Hans Zehetmair ihre Reverenz.
Prinz Eugen von Savoyen
beim Festzug in Ingolstadt
Fotos: Anton Potche
Aber da schien doch wirklich einer aus der Reihe gefallen zu sein. Und gerade er kam in einer prächtigen Kutsche daher, der Feldherr, den wir stets hoch zu Ross vermuteten, und der einst wahrlich nicht als Freund nach Ingolstadt gekommen war: Prinz Eugen von Savoyen.
In den Mittagsstunden des 13. August 1704 gab Herzog John Churchill of Marlborough auf dem Schlachtfeld bei Höchstädt an der Donau seiner wahrlich internationalen Heerschar (52.000 Kaiserliche, Preußen, Dänen, Engländer und Holländer) den Befehl zum Angriff auf die verbündeten Franzosen und Bayern, die unter der nicht besonders gut funktionierenden Befehlsteilung des französischen Marschalls Tallard und des bayrischen Kurfürsten Max Emanuell standen. Auf den Flügeln griffen Prinz Eugen von Savoyen und Generalleutnant Lord Cutts an. Gekämpft wurde um das spanische Erbe. Als sich um 8 Uhr abends die letzten 27 Bataillone und 13 Eskadronen Franzosen im Dorfe Blindheim ergeben hatten, war eine der blutigsten Schlachten des achtzehnten Jahrhunderts entschieden: 10.600 Tote und 14.600 Verwundete, so Kurt von Priesdorff in seinem 1940 erschienenen Buch über Prinz Eugen, waren die schreckliche Bilanz dieses Tages. Die Kaiserlichen und ihre Alliierten hatten einen für Bayern und ganz Süddeutschland folgenschweren Sieg errungen. Max Emanuel begab sich ins französische Exil, und die Kaiserlichen führten in Bayern ein schonungsloses Besatzungsregiment mit Einquartierungen, Zwangsrekrutierungen für die kaiserlichen Truppen und Zwangsabgaben. In München führte das zu der berühmten Sendlinger Bauernschlacht mit dem sprichwörtlichen gewordenen Bekenntnis: „Hie lieber bayerisch sterben als kaiserlich verderben.“
Auf Ingolstadt wirkte sich allerdings Prinz Eugens sowohl strategisches Denken als auch seine als Hofkriegspräsident (seit 1703) verordneten und daher politisch zu bewertenden Verwaltungsanweisungen eher positiv aus; wenngleich sie auch in der Praxis wahrscheinlich nie so zum Tragen kamen. Bereits im Juli 1704 hatte der österreichische Feldherr auf eine Entscheidungsschlacht gedrängt und steuerte so dem Zögern des kriegsmüden Markgrafen Ludwig von Baden, der nach der Schlacht vom Schellenberg bei Donauwörth (2. Juli 1704) mit 14.000 Mann Ingolstadt belagerte, entgegen. Dadurch war die Gefahr gebannt, dass größere kriegerische Auseinandersetzungen sich in diesem Raum abspielen würden.
Nach dem Sieg von Höchstädt hielt Prinz Eugen mit 4000 österreichischen Soldaten in Ingolstadt Einzug. Erst am 25. Januar 1715 verließen die letzten kaiserlichen Truppen Ingolstadt. Es kam aber zu keinen nennenswerten Auseinandersetzungen zwischen den Einheimischen und den Besatzungstruppen. Das könnte einer hier verlassenen Anordnung Prinz Eugens zu verdanken gewesen sein. Darin hieß es unmissverständlich: „Man wird die Studenten, wenn sie sich friedlich aufführen, gerne ihre Privilegien genießen lassen. Daß die Bürger den Soldaten keinen guten Willen erzeigen, dazu sind sie nicht gehalten und ist sich deshalb über sie nicht zu beklagen. Die Offiziere, auch die Feldmarschälle, sollen keine freie Hand haben, noch in dem geringsten sich in die Geldsachen oder das Kontributionswesen zu mischen. Wenn ihnen zur Last falle, sich nur einen Heller mehr, als ihnen gebühren, angeeignet zu haben, so werde ich wissen, was zu tun sei.“ (Heinrich Kretschmayr: Prinz Eugen – Briefe, Berichte und Stimmen; Albert Langen / Georg Müller Verlag, München, 1940).
Es ist nicht überliefert, was den Prinzen in Ingolstadt so milde gestimmt hat. Vielleicht war es auch das Bier, das seit 1516 nach dem von Herzog Wilhelm IV. von Bayern in eben dieser Stadt erlassenen Bayerischen Reinheitsgebot gebraut wird. (Der Erlass dieses ältesten Lebensmittelgesetzes der Welt wurde natürlich auch im historischen Festzug gebührend gewürdigt.)
Prinz Eugen selbst hielt sich anno 1704 nicht lange in Ingolstadt auf. Die Geschichte rief ihre Jünger ans Tagwerk, und der einst vom Sonnenkönig geächteten Savoyer, dessen Mutter eine Nichte des berüchtigten Kardinals Mazarin war, zog süd- und ostwärts, um neue Gemarkungen für seine habsburgischen Kaiser zu erobern. So stand er eines Tages auch vor Temeswar, und die Siedlungsgeschichte der Banater Schwaben konnte beginnen.
Flucht und Vertreibung
Was ist von dieser Geschichte geblieben? Das Reich der Habsburger wurde von einer neuen Ordnung überrannt. Mehr als 80 Jahre sind seither vergangen. Im historischen Festzug zur 750-Jahr-Feier der Stadt Ingolstadt fuhr mit der Nummer 96 des 106 Bilder umfassenden Zuges ein nachgebauter Viehwaggon als Symbol für Flucht und Vertreibung. Als abgeschwächte Form dieser menschenunwürdigen Kriegsfolgen kann man wohl auch die Aussiedlung der Banater Schwaben betrachten.
So fanden sie sich als Teil der europäischen Geschichte wieder und zogen in einem langen Zeitmarsch am Nordufer ihres Schicksalsstromes, der Donau, stromaufwärts der Ingolstädter Altstadt zu, so wie sie einst das Schicksal herausfordernd stromabwärts zogen: der wegbereitende Feldherr und die in ihrem Wappen symbolisierte Gemeinschaft der Banater Schwaben.

Anton Potche

aus BANATER POST, München, 20. August 2000

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