Vernissage: ein gleichermaßen kulturelles und
gesellschaftliches Ereignis. Angesetzt an einem kaltfeuchten Sonntagmorgen, in
einem schneelosen Januar – es ist der 14. Januar 1996. Viel Prominenz. Sehen
und gesehen werden. Wie gesagt, ein gesellschaftliches Ereignis. Aber die
kulturelle Seite?
Die 76 Bilder und vier Plastiken aus den Beständen des Banater Museums
Temeswar in der altehrwürdigen Bastei sind bloß eine auserwählte Repräsentanz
für 200 Jahre europäische Kunst im Banat.
Eine kulturelle Wertschätzung widerfährt ihnen vielfältig durch die geistigen
Impulse, die sie in jedem Betrachter hervorrufen.Johann
Wälder (1854 - 1902) Stilleben (Öl/Leinwand)
Fotoquelle: Katalog
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Ja, auch beim Zuhörer. Wo war ich denn, als dieses
ergreifend interpretierte Trio für Violine, Bratsche und Cello Aubade in C-Dur von George Enescu erklang? (Interpreten: Vasil Stefan, Gabriela Kiss
und Daniela Mayer.) Mein Geist war
längst in eine physisch entrückte, aber geistig für ewig verinnerlichte Welt
entglitten. Wo waren diese Bilder, als ich in dieser Stadt und ihrem Umland
lebte? Wo war ich damals? Warum sind wir uns nie begegnet? Ich war jung,
uninteressiert. Später dann hatte ich keine Zeit. Ich stand in der Schlange um
Brot und Milch, tagaus, tagein. Aber ich war doch im Museum. Freilich. Wer von
uns war es nicht? Wir ließen uns doch unsere alten Uhren zur Mitausreise abstempeln.
Aber zum Vordringen in die Tiefen der Museumssäle hatten wir natürlich eben
dann keine Zeit, wo wir doch nichts als das Wegkommen im Sinne hatten. Und die
flüchtigen Blicke des einen oder anderen, die beim Vorbeihuschen in einen
offenen Ausstellungsraum fielen, regten ihn wohl kaum zum Verweilen an. Die
bereits zu Lebzeiten als museumswürdig hochstilisierten sozialistischen
Errungenschaften hatten schon lange die geheiligten Kunsthallen erobert und
taten ein Übriges zu unserer Eile. Nur fort, je schneller.
Was zurückblieb, waren diese und viele andere Kunstwerke,
von Rumänen, Ungarn, Serben, Juden und nicht zuletzt von Banater Schwaben
geschaffen, um die Launen der Zeiten und „glorreichen Epochen“ zu schmähen. Sie
stehen für die Unvergänglichkeit künstlerischen Schaffens und für das Scheitern
künstlicher Grenzen. Peter Schnell, Oberbürgermeister von Ingolstadt: „Kunst
hat niemals Landesgrenzen akzeptiert:“
George
Enescus Aubade
klingt in einem im Pianissimo sterbenden Geigenton aus und ruft mich – wahrscheinlich
auch viele andere Anwesende – in die Gegenwart zurück. Ja, es ist so: Im Banat
ging ich nie zu ihnen, zu diesen Porträts, Landschaften und Stilleben. Jetzt
sind sie zu mir, zu uns gekommen, mit all ihrer suggestiven Kraft.
Daß wir nicht alles Versäumte in dieser Ausstellung
nachholen können, ist klar und vielleicht auch gut so, denn Eindrücke sollen
nachhallen, nicht erdrücken. Wir – zumindest ich – haben diese Vernissage mit
dem Eindruck verlassen, dass hier wirklich eine von Kunstkennern getroffene
Auswahl von europäischer Kunst aus dem Banat ausgestellt wird. Dr. Rodica Vârtaciu vom Banater Museum
Temeswar sowie Peter Volkwein und Walther Konschitzky verantworten nicht
nur für die Auswahl der Werke, die für diese südosteuropäische Kulturlandschaft
repräsentativ sind, sie zeichnen auch für die Gestaltung und Redaktion des
zweisprachigen Katalogs 200 Jahre
europäische Kunst im Banat – 200 de ani de artă europeană în Banat. (Die
hochwertigen Fotos der Kunstwerke stammen von Milan Sepeţan, Walther Konschitzky und
Liviu Tulbure.)
Und dann ging ich, nach fast zwei Stunden optischen und
akustischen Kunstgenusses, aber nicht ohne noch „e schwowische Salzkippel“,
gebacken „vun Ingolstädter schwowische Weiwer“, zu genießen. Ach ja, ich werde
natürlich hierher zurückkommen, und ich werde meine Kinder mitbringen, denn sie
kehren ja heim, unsere (?!) banater Bilder und wer weiß, ob wir sie so bald
wiedersehen. Auch diese Gedanken nahm ich mit auf den Heimweg.
Ein Katalog – wenn auch ganz hervorragend, wie der zu dieser
Ausstellung – kann Sehnsucht nach Kunst nur lindern, aber nie befriedigen.
Darum sollte man einen Weg nach Ingolstadt in die Städtische Galerie
Harderbastei, Oberer Graben 55, nicht scheuen. Die Ausstellung 200 Jahre europäische Kunst im Banat ist
noch bis zum 25. Februar 1996, Dienstag bis Sonntag, von 10 bis 13 und 15 bis
18 Uhr, zu besichtigen.
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 5. Februar
1996
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