Dienstag, 29. August 2017

200 Jahre europäische Kunst im Banat

Vernissage: ein gleichermaßen kulturelles und gesellschaftliches Ereignis. Angesetzt an einem kaltfeuchten Sonntagmorgen, in einem schneelosen Januar – es ist der 14. Januar 1996. Viel Prominenz. Sehen und gesehen werden. Wie gesagt, ein gesellschaftliches Ereignis. Aber die kulturelle Seite?
Die 76 Bilder und vier Plastiken aus den Beständen des Banater Museums Temeswar in der altehrwürdigen Bastei sind bloß eine auserwählte Repräsentanz für 200 Jahre europäische Kunst im Banat. Eine kulturelle Wertschätzung widerfährt ihnen vielfältig durch die geistigen Impulse, die sie in jedem Betrachter hervorrufen.
Johann Wälder (1854 - 1902)
Stilleben (Öl/Leinwand)
Fotoquelle: Katalog
Ja, auch beim Zuhörer. Wo war ich denn, als dieses ergreifend interpretierte Trio für Violine, Bratsche und Cello Aubade in C-Dur von George Enescu erklang? (Interpreten: Vasil Stefan, Gabriela Kiss und Daniela Mayer.) Mein Geist war längst in eine physisch entrückte, aber geistig für ewig verinnerlichte Welt entglitten. Wo waren diese Bilder, als ich in dieser Stadt und ihrem Umland lebte? Wo war ich damals? Warum sind wir uns nie begegnet? Ich war jung, uninteressiert. Später dann hatte ich keine Zeit. Ich stand in der Schlange um Brot und Milch, tagaus, tagein. Aber ich war doch im Museum. Freilich. Wer von uns war es nicht? Wir ließen uns doch unsere alten Uhren zur Mitausreise abstempeln. Aber zum Vordringen in die Tiefen der Museumssäle hatten wir natürlich eben dann keine Zeit, wo wir doch nichts als das Wegkommen im Sinne hatten. Und die flüchtigen Blicke des einen oder anderen, die beim Vorbeihuschen in einen offenen Ausstellungsraum fielen, regten ihn wohl kaum zum Verweilen an. Die bereits zu Lebzeiten als museumswürdig hochstilisierten sozialistischen Errungenschaften hatten schon lange die geheiligten Kunsthallen erobert und taten ein Übriges zu unserer Eile. Nur fort, je schneller.
Was zurückblieb, waren diese und viele andere Kunstwerke, von Rumänen, Ungarn, Serben, Juden und nicht zuletzt von Banater Schwaben geschaffen, um die Launen der Zeiten und „glorreichen Epochen“ zu schmähen. Sie stehen für die Unvergänglichkeit künstlerischen Schaffens und für das Scheitern künstlicher Grenzen. Peter Schnell, Oberbürgermeister von Ingolstadt: „Kunst hat niemals Landesgrenzen akzeptiert:“
George Enescus Aubade klingt in einem im Pianissimo sterbenden Geigenton aus und ruft mich – wahrscheinlich auch viele andere Anwesende – in die Gegenwart zurück. Ja, es ist so: Im Banat ging ich nie zu ihnen, zu diesen Porträts, Landschaften und Stilleben. Jetzt sind sie zu mir, zu uns gekommen, mit all ihrer suggestiven Kraft.
Daß wir nicht alles Versäumte in dieser Ausstellung nachholen können, ist klar und vielleicht auch gut so, denn Eindrücke sollen nachhallen, nicht erdrücken. Wir – zumindest ich – haben diese Vernissage mit dem Eindruck verlassen, dass hier wirklich eine von Kunstkennern getroffene Auswahl von europäischer Kunst aus dem Banat ausgestellt wird. Dr. Rodica Vârtaciu vom Banater Museum Temeswar sowie Peter Volkwein und Walther Konschitzky verantworten nicht nur für die Auswahl der Werke, die für diese südosteuropäische Kulturlandschaft repräsentativ sind, sie zeichnen auch für die Gestaltung und Redaktion des zweisprachigen Katalogs 200 Jahre europäische Kunst im Banat – 200 de ani de artă europeană în Banat. (Die hochwertigen Fotos der Kunstwerke stammen von Milan Sepeţan, Walther Konschitzky und Liviu Tulbure.)
Und dann ging ich, nach fast zwei Stunden optischen und akustischen Kunstgenusses, aber nicht ohne noch „e schwowische Salzkippel“, gebacken „vun Ingolstädter schwowische Weiwer“, zu genießen. Ach ja, ich werde natürlich hierher zurückkommen, und ich werde meine Kinder mitbringen, denn sie kehren ja heim, unsere (?!) banater Bilder und wer weiß, ob wir sie so bald wiedersehen. Auch diese Gedanken nahm ich mit auf den Heimweg.
Ein Katalog – wenn auch ganz hervorragend, wie der zu dieser Ausstellung – kann Sehnsucht nach Kunst nur lindern, aber nie befriedigen. Darum sollte man einen Weg nach Ingolstadt in die Städtische Galerie Harderbastei, Oberer Graben 55, nicht scheuen. Die Ausstellung 200 Jahre europäische Kunst im Banat ist noch bis zum 25. Februar 1996, Dienstag bis Sonntag, von 10 bis 13 und 15 bis 18 Uhr, zu besichtigen.

Anton Potche

aus BANATER POST, München, 5. Februar 1996

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