Ein weniger bekanntes Stück Banater
Realität
.
Ernest
Wichner (Hg.): Ein Pronomen ist verhaftet worden - Texte der Aktionsgruppe
Banat, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-11671-1, DM 14,--
Werner Kremm, Ernest Wichner und Gerhard Ortinau
mögen mir verzeihen. Ich habe ihre Texte mit Strichen versehen. Kein Grund zur
Aufregung. Es sind keine Satzzeichen. Ich habe nichts verdorben. Aber es
war schon spät und ich konnte das Nötige nicht mehr auseinanderhalten, um den
Sinn der Zeilen zusammenzuhalten. Da war doch geschrieben: "trinken ist
wichtig einige der väter sind schon allein durch die erinnerung besoffen."
Ich taumelte weiter, weil ich unbedingt dieses verhaftete Pronomen finden
wollte. Dazu trieb mich nicht nur die Neugierde. Ich hatte mir spontan die
Aufgabe gestellt, ihm zur Freiheit zu verhelfen, nicht zur wagnerschen
"Nachhonolulufahrenkönnen", sondern zu der, die ihm vielleicht eine
Begegnung mit Landsleuten bescheren könnte.
"Eine kurze
Geschichte oder Fragmente aus einem verhinderten Roman" machte mich dann
doch neugierig. Der weiß doch etwas. Schade dass der Roman nicht geschrieben
wurde. So erfahre ich eben nichts. Oder doch? Hat der nicht Angst zu reden?
Schweigen war schon immer Gold.
Ich
schloß mich dieser "radfahrt" einfach an. Nicht weil ich die Menschen
kenne; aber die Gegend und was durch sie klang, scheint mir noch heute so
vertraut zu sein, daß ich manchmal den Eindruck habe, sie gar nicht verlassen
zu haben. Freilich ein Trugbild, denn auswandernde Menschen nehmen immer auch
ein Stück Landschaft mit.
Die zwei Bergmanns,
der Jüngere und der ältere, sind längst der Realität entrückt. Sie entfernen
sich immer mehr voneinander, der Ältere in Richtung einer qualvollen
Vergangenheit, der Jüngere in Richtung einer konturlosen Zukunft.
Dann hielt ich inne und gab meinen Kindern
eine Aufgabe zu lösen. Wie freute ich mich, als sie die Lösung schnell fanden:
7buergen.
Und wieder begab
ich mich auf die Suche. Mit dem sympathischen Herrn Buchwald hatte ich dann
meine erste Begegnung. Weiter traf ich Herrn Säbelmann, und was der so von sich
gab, erinnerte mich an den Satz der alten Wolfsburgerin aus dem Dokumentarfilm
"Der letzte Schwabenzug": "Ja, ja, jetzt kummt bal de
Sensemann."
Die Begegnung mit
dem Chefbuchhalter eröffnete mir den Einblick in ein sozialistisches Pissoir.
Ich las mich fest in diesen kurzen Sätzen und war mit meinen Gedanken in und
unter Straßen, die es bestimmt so nicht mehr gibt, wie ich sie erlebt habe.
Vielleicht, ja wahrscheinlich ist es noch schlimmer.
Lieber
"gerhard", ein Unbefugter hat Deinen Brief gelesen. Ich habe dabei an
die kleinen, aber feinen unterschiede der Napoleonbiographien gedacht, die mal
aus deutscher, mal aus französischer Feder immer wieder in den Buchregalen
auftauchen. Aber du hast schon recht, man sollte maßhalten.
Ich muß gestehen,
meine Bekanntschaft mit George Ramses Thompson jr., dem unerschrockenen
"geschichtswissenschaftler" war eine sehr angenehme. Ein wirklich
schönes Märchen, nein, "eine abenteuergeschichte in h.c. artmanns art
& weise".
Dem "sohn des
DICHTERS SOUNDSO" ging es nicht besser wie allen Künstlern mit einem
prominenten Elternteil. Aber im Schatten stehen, muß ja nicht gleich als
Lebensschattenseite empfunden werden. Man muß dabei nur den Floh im Elefanten
erkennen.
Natürlich bringen
die unkonventionellen Texte viele Fragen an die Oberfläche. Da hatte sich
angeblich eine Gruppe junger deutscher Autoren aus Rumänien einem Programm
verschrieben, das sich gar nicht so sehr als politisches, wie man sehr leicht
geneigt wäre anzunehmen, sondern primär als ästhetisches etablieren sollte.
Dann hat man die literarisch agitatorische Tätigkeit der "Aktionsgruppe
Banat" doch als Politikum hochgespielt und sie durch die Securitate
gnadenlos zerschlagen.
"Ein Pronomen
ist verhaftet worden." Jetzt, fast 20 Jahre nach seiner Verhaftung und
Freilassung, habe ich es kennengelernt, natürlich gebrochen und kaum noch
lebensfroh, sprich als Gruppe kreativ. Wirklich schade, daß die Gemeinschaft,
in der diese Gruppe ("wir werden wie im märchen sterben / unsere särge
werden mit den gedichten / geschmückt sein ...") entstand, nicht das
erforderliche intellektuelle Leserpotential - rein quantitativ gesehen - hatte, um
dichtenden Stürmern zur wahren Dissidentenschaft zu verhelfen. So wurden junge,
nach Wahrheit suchende Schreibende, die sich schon in der marxistischen
Ideologie verirrt hatten, fast über Nacht zu unangenehmen Bewußtseinserweckern,
die dann den kommunistischen Schergen des größenwahnsinnigen Ceauşescu ohne öffentlichen Widerhall überlassen
wurden.
Zu dem aktiven Kern
der nur drei Jahre alt gewordenen "Aktionsgruppe Banat" (1972 -
1975), der sich als Gruppenautor verstand und als solcher auch einiges
veröffentlicht hat, gehörten laut dieser Anthologie: Albert Bohn (geb.
1955 in Arad), Rolf Bossert (geb. 1952 in Reschitza - gest. 1986 in
Frankfurt am Main), Gerhardt Csejka (geb. 1945 in Guttenbrunn), Werner
Kremm (geb. 1951 in Großsanktnikolaus), Johann Lippet (geb. 1951 in
Wels/Österreich), Gerhard Ortinau (geb. 1953 in Movila Gîldăului / Bărăgan), Anton
Sterbling (geb. 1953 in Großsantnikolaus), William
Totok (geb. 1951 in Großkomlosch),
Richard Wagner (geb.1952 in Lowrin) und Ernest Wichner (geb.1952 in
Guttenbrunn).
Jetzt wurden einige
ihrer Texte, Gedichte und auch Essays wieder von Ernest Wichner
herausgegeben; ein Angebot für Literaturfreunde, Versäumtes nachzuholen oder
Erinnerungen aufzufrischen. Diskussionsstoff enthält diese
"Blumenlese" allemal.
Mark Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 5. Juni 1994
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