Donnerstag, 2. März 2017

Erinnern und diskutieren

Ein weniger bekanntes Stück Banater Realität
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Ernest Wichner (Hg.): Ein Pronomen ist verhaftet worden - Texte der Aktionsgruppe Banat, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-11671-1, DM 14,--
Werner Kremm, Ernest Wichner und Gerhard Ortinau mögen mir verzeihen. Ich habe ihre Texte mit Strichen versehen. Kein Grund zur Aufregung. Es sind keine Satzzeichen. Ich habe nichts verdorben. Aber es war schon spät und ich konnte das Nötige nicht mehr auseinanderhalten, um den Sinn der Zeilen zusammenzuhalten. Da war doch geschrieben: "trinken ist wichtig einige der väter sind schon allein durch die erinnerung besoffen." Ich taumelte weiter, weil ich unbedingt dieses verhaftete Pronomen finden wollte. Dazu trieb mich nicht nur die Neugierde. Ich hatte mir spontan die Aufgabe gestellt, ihm zur Freiheit zu verhelfen, nicht zur wagnerschen "Nachhonolulufahrenkönnen", sondern zu der, die ihm vielleicht eine Begegnung mit Landsleuten bescheren könnte.
"Eine kurze Geschichte oder Fragmente aus einem verhinderten Roman" machte mich dann doch neugierig. Der weiß doch etwas. Schade dass der Roman nicht geschrieben wurde. So erfahre ich eben nichts. Oder doch? Hat der nicht Angst zu reden? Schweigen war schon immer Gold.
Ich schloß mich dieser "radfahrt" einfach an. Nicht weil ich die Menschen kenne; aber die Gegend und was durch sie klang, scheint mir noch heute so vertraut zu sein, daß ich manchmal den Eindruck habe, sie gar nicht verlassen zu haben. Freilich ein Trugbild, denn auswandernde Menschen nehmen immer auch ein Stück  Landschaft mit.
Die zwei Bergmanns, der Jüngere und der ältere, sind längst der Realität entrückt. Sie entfernen sich immer mehr voneinander, der Ältere in Richtung einer qualvollen Vergangenheit, der Jüngere in Richtung einer konturlosen Zukunft.
Dann hielt ich inne und gab meinen Kindern eine Aufgabe zu lösen. Wie freute ich mich, als sie die Lösung schnell fanden: 7buergen.
Und wieder begab ich mich auf die Suche. Mit dem sympathischen Herrn Buchwald hatte ich dann meine erste Begegnung. Weiter traf ich Herrn Säbelmann, und was der so von sich gab, erinnerte mich an den Satz der alten Wolfsburgerin aus dem Dokumentarfilm "Der letzte Schwabenzug": "Ja, ja, jetzt kummt bal de Sensemann."
Die Begegnung mit dem Chefbuchhalter eröffnete mir den Einblick in ein sozialistisches Pissoir. Ich las mich fest in diesen kurzen Sätzen und war mit meinen Gedanken in und unter Straßen, die es bestimmt so nicht mehr gibt, wie ich sie erlebt habe. Vielleicht, ja wahrscheinlich ist es noch schlimmer.
 Lieber "gerhard", ein Unbefugter hat Deinen Brief gelesen. Ich habe dabei an die kleinen, aber feinen unterschiede der Napoleonbiographien gedacht, die mal aus deutscher, mal aus französischer Feder immer wieder in den Buchregalen auftauchen. Aber du hast schon recht, man sollte maßhalten.
Ich muß gestehen, meine Bekanntschaft mit George Ramses Thompson jr., dem unerschrockenen "geschichtswissenschaftler" war eine sehr angenehme. Ein wirklich schönes Märchen, nein, "eine abenteuergeschichte in h.c. artmanns art & weise".    
Dem "sohn des DICHTERS SOUNDSO" ging es nicht besser wie allen Künstlern mit einem prominenten Elternteil. Aber im Schatten stehen, muß ja nicht gleich als Lebensschattenseite empfunden werden. Man muß dabei nur den Floh im Elefanten erkennen.
Natürlich bringen die unkonventionellen Texte viele Fragen an die Oberfläche. Da hatte sich angeblich eine Gruppe junger deutscher Autoren aus Rumänien einem Programm verschrieben, das sich gar nicht so sehr als politisches, wie man sehr leicht geneigt wäre anzunehmen, sondern primär als ästhetisches etablieren sollte. Dann hat man die literarisch agitatorische Tätigkeit der "Aktionsgruppe Banat" doch als Politikum hochgespielt und sie durch die Securitate gnadenlos zerschlagen.     
"Ein Pronomen ist verhaftet worden." Jetzt, fast 20 Jahre nach seiner Verhaftung und Freilassung, habe ich es kennengelernt, natürlich gebrochen und kaum noch lebensfroh, sprich als Gruppe kreativ. Wirklich schade, daß die Gemeinschaft, in der diese Gruppe ("wir werden wie im märchen sterben / unsere särge werden mit den gedichten / geschmückt sein ...") entstand, nicht das erforderliche intellektuelle Leserpotential - rein quantitativ gesehen - hatte, um dichtenden Stürmern zur wahren Dissidentenschaft zu verhelfen. So wurden junge, nach Wahrheit suchende Schreibende, die sich schon in der marxistischen Ideologie verirrt hatten, fast über Nacht zu unangenehmen Bewußtseinserweckern, die dann den kommunistischen Schergen des größenwahnsinnigen Ceauşescu ohne öffentlichen Widerhall überlassen wurden.   
Zu dem aktiven Kern der nur drei Jahre alt gewordenen "Aktionsgruppe Banat" (1972 - 1975), der sich als Gruppenautor verstand und als solcher auch einiges veröffentlicht hat, gehörten laut dieser Anthologie: Albert Bohn (geb. 1955 in Arad), Rolf Bossert (geb. 1952 in Reschitza - gest. 1986 in Frankfurt am Main), Gerhardt Csejka (geb. 1945 in Guttenbrunn), Werner Kremm (geb. 1951 in Großsanktnikolaus), Johann Lippet (geb. 1951 in Wels/Österreich), Gerhard Ortinau (geb. 1953 in Movila Gîldăului / Bărăgan), Anton Sterbling (geb. 1953 in Großsantnikolaus), William Totok (geb. 1951 in Großkomlosch), Richard Wagner (geb.1952 in Lowrin) und Ernest Wichner (geb.1952 in Guttenbrunn).
Jetzt wurden einige ihrer Texte, Gedichte und auch Essays wieder von Ernest Wichner herausgegeben; ein Angebot für Literaturfreunde, Versäumtes nachzuholen oder Erinnerungen aufzufrischen. Diskussionsstoff enthält diese "Blumenlese" allemal.
Mark Jahr

aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 5. Juni 1994

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