Fließend sind die Grenzen zwischen Opferbereitschaft
und Heuchelei! "Es ist fast so, als ob die Tatsache, einmal und
unvergänglich Täter gewesen zu sein, die Deutschen ewig dazu antriebe, Opfer
sein zu wollen, wann immer es sich anbietet." Wie wahr! Das oft bis ins
Lächerliche übertriebene Schuldgefühl der Deutschen wird hier von Ulrich
Greiner (DIE ZEIT, Nr. 42, 13. Oktober 1995) nicht zum ersten Mal entlarvt.
Auch die dritte Nachkriegsgeneration lechzt förmlich - natürlich so
öffentlichkeitswirksam wie möglich - nach Opfergängen für das Vergehen der
(vieler, aber lange nicht aller) Großväter. Dabei wurde doch schon in Hülle und
Fülle von den verblendeten aber auch (oder besonders) von den unschuldigen
Menschen deutscher Muttersprache zur Endzeit des unseligen Hitlerregimes und
danach gebüßt. Nein, das kann und soll auch keine Entlastung für deutsche
Missetaten kurz vor dieser Jahrhundertmitte sein, aber es könnte immerhin so
manches Wiedergutmachungsopfer vom Gestank der Heuchelei befreien. Ja, es
könnte ... wenn man die Opfer der Ost- und Südostdeutschen vor und nach Kriegsende
zur Genüge kennen und in der Auseinandersetzung Vergeben und Versöhnen statt
gekünstelter Opfertraumen entsprechend berücksichtigen würde.
Aber wer spricht schon davon? Die deutsche Presse der
ersten Nachkriegsjahre ließ Gras über das Problem wachsen und in der Literatur
fanden Vertreibung, Flucht, Deportation und Internierung deutscher Frauen,
Kinder und Greise leider keine Zeiten überdauernde Ächtung, wie das
gerechterweise mit dem schrecklichen Schicksal der Juden geschehen ist.
"Donauschwaben? Nie gehört!" betitelte die MITTELBAYERISCHE ZEITUNG
im November 1989 eine zweiseitige Reportage über die "fast vergessene
Geschichte der Deutschen in Jugoslawien".
Man horcht daher unwillkürlich auf, wenn das von der
deutschen Öffentlichkeit kaum noch wahrnehmbare (wegen unzureichender
Information) Vertreibungsphänomen von vor 50 Jahren in einer Literatursendung
angesprochen wird. Es war allerdings kein deutscher Autor, der am 14. Oktober
1995 in der 3sat-Sendung Buch total, direkt von der Frankfurter
Buchmesse, das Wort Vertrieben in den Mund nahm, aber immerhin ein deutsch
schreibender und sprechender.
Milo Dor,
den Moderator Wolfgang Herles als literarisches k.u.k.-Produkt (in
Budapest geborener Serbe, der in Wien lebt und schreibt) vorstellte, erklärte
zum geschichtlichen Hintergrund der bosnischen Greueltaten, daß Tschetniks,
Ustaschas und Partisanen im Zweiten Weltkrieg mehr Opfer untereinander zu
verantworten hätten, als man der Besatzungsmacht zuschreiben könnte. Zu den
vielen Menschenopfern, die der Zweite Weltkrieg in dieser südosteuropäischen
Region forderte, zählte der Autor auch die vertriebenen Deutschen. Dieses
Verbrechen schrieb er überwiegend den Partisanen zu.
Also doch! Deutsche Menschen mußten für Hitlers
Wahn büßen. Milo Dor, der einen Abend später, in der Großen Buchnacht
im Ersten (ARD, 15. Oktober 1995) wieder zu Wort kam und der aufmerksam
lauschenden Menge enthüllte, "ich stamme aus dem Banat; mein Vater
arbeitete in einer Temeswarer Brauerei und sprach alle banater Sprachen, ich
war selbst als Kind mal in einem rumänischen Dorf und konnte rumänisch mit den
Kindern herumpalavern", der serbische Literat mit "griechischer
Großmutter", hat es nicht vergessen und ließ es auch die deutsche
Öffentlichkeit wissen.
"Aber Elite sein und das Armenrecht beanspruchen
wollen: das in der Tat ist faul." (Ulrich Greiner). Hören wir also
endlich auf, die von der Geschichtslast ach so gebeugten Schuldopfer einer seit
50 Jahren besiegten Ideologie sein zu wollen. Geschichtsunbelastete
Nächstenliebe ist jederzeit menschlicher als falsches Pharisäertum.
Mark Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 5. November 1995
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