Dienstag, 9. Juni 2015

Konzert in Ingolstadt

"Wir bedauern die Menschen, die stumm sind." Diese Worte sprach der Bürgermeister des ungarischen Dorfes Szendehely, Ignac Altsach, beim zehnjährigen Gründungsjubiläum des Chores der Siebenbürger Sachsen in Ingolstadt am 14. Mai. Die Folge dieser Aussage muß das Reden - auch wenn man sich dazu noch oft gestikulierender Hand- und Kopfbewegungen bedient -, das Singen und auch der Tanz sein. In diesem Sinn hat der Chor der Siebenbürger Sachsen unter der Leitung von Ludwig Seiverth auch seine Jubiläumsveranstaltung organisiert.
Zehn Jahre jung und schon im Ingolstädter Kulturleben voll etabliert - das bestätigten den 45 Chormitgliedern, die aus 20 siebenbürgischen Ortschaften stammen, nicht zuletzt die Ansprachen des Ingolstädter Stadtrates Otto Six und des Vorsitzenden des Oberdonau-Sängerkreises, Fritz Bohländer, der auch viele Sänger/innen mit der Ehrennadel und Urkunde des Oberdonau-Sängerkreises ehrte. 
Ludwig Seiverth, nicht nur der Gründer und musikalische Leiter dieses Chores, sondern auch Vorsitzender der Kreisgruppe Ingolstadt der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, hielt Rückschau. Und weil Kultur, Politik und Geschichte nie unabhängig voneinander existieren können, war der Blick zurück in die 850-jährige Vergangenheit und die Erinnerung an die letzten Jahre in der Heimat im oft als Schutz empfundenen Schatten der Karpaten ein Wermutstropfen, der nicht nur aus der Stimme des Redners, sondern auch aus so manchem feuchten Auge quoll.
Die Darbietungen des Chores und der eingeladenen Gastensembles entfalteten sich in einem wahren Mammutprogramm von drei Stunden. Der Männergesangverein Ingolstadt-Mailing/Feldkirchen, die ungarndeutsche Tanzgruppe aus Szendehely, die Prinzengarde "Eggspatzen aus Retzbuck", die Blaskapelle der Siebenbürger Sachsen aus Ingolstadt und nicht zuletzt der Gastgeberchor boten Kostproben aus ihren reichen Repertoires.
Natürlich wurde nach so viel Kultur auch noch das Tanzbein geschwungen. Es ging diesmal nicht nur im Walzer- und Polkaschritt über das Parkett. Die Ungarndeutschen aus Szendehely lebten so richtig auf, als die Blaskapelle unerwartet einen Csárdás und einen Frisch intonierte. Und wer dann zusah, wie diese Frauen und Männer, Mädchen und Buben die ungarischen Tänze tanzten - natürlich hielt auch so mancher Sachse mit -, der konnte sich dem schönsten Sinnieren über den Sinn eines vereinten und den Unsinn eines bis vor kurzem getrennten Europas hingeben. Wer sich dann dabei auch noch Gedanken über diese Menschen deutscher Abstammung aus Ungarn machte, mußte erkennen, daß es noch schwieriger als zu Jakob Bleyers Zeiten sein wird, das Deutschbewußtsein der Deutschen in Ungarn aufzufrischen. Nötig ist es aber allemal, denn nur durch lebensfähige Minderheiten kann Europa das Maß an Toleranz erreichen, das das Leben hier auf dem alten Kontinent lebenswerter machen soll.
80 Prozent der Bewohner Szendehelys haben deutsche Vorfahren. Maria Meszavos, die Tanzgruppenleiterin, die hervorragend deutsch spricht, nannte Familiennamen aus ihrem Dorf: Szegner (Segner), Bach, Rottenbacher, Virsinger (Viersinger) German (Germann), Mänich, Schlenk und andere. Man bemühe sich zur Zeit um die geschichtliche Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit des Dorfes. Die Ahnen der meisten Szendehlyer kommen wahrscheinlich aus Franken, wie die jüngsten Forschungen ergeben haben. Die Tanzgruppe des Dorfes präsentiert sich selbstverständlich auch in Ungarn als deutsche Gruppe. Es ist aber sehr schwer, zurück zur deutschen Sprache als Umgangssprache zu finden. Frau Meszavos weiß, woran es liegt: "Wir brauchen viele Kontakte zu deutschen Menschen." Der Deutschunterricht in der Schule sei nicht ausreichend. Erst ab der 4. Klasse wird eine Stunde am Tag deutsch unterrichtet. In der Familie wird nur ungarisch gesprochen.
Mark Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 28. August 1994

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