Jahrmarkter
"Musikantenkrieg" - ein Stück Vergangenheit
Banater Musikreminiszenzen
"Immer häufiger bewarben sich
Besitzer von Vergnügungslokalen um die Kapelle Lanner, und Lanner suchte Rat zu
schaffen. Er teilte sie in zwei Kapellen auf, die beide unter seinem
Namen wirkten. Leiter der Parallel-Kapelle wurde Johann (Baptist Strauß, A.d.V.)
Doch so groß wie früher war die Freundschaft nicht mehr. [...] Strauß
hatte begonnen, seine musikalischen Kenntnisse zu vervollkommnen. [...] Im
Herbst des Jahres 1825 wurde sein Verlangen nach einer Trennung von Lanner
dringlicher, und so sollte er am 1. September aus dessen Kapelle ausscheiden.
[...] Angeblich hätten jetzt Auseinandersetzungen begonnen; es wurde
kolportiert, daß es zwischen den Musikern Schlägereien gegeben habe."
Insider der verschiedensten
Musikszenen wissen, daß dieser vom Strauß-Biographen Otto Schneidereit in
seinem Buch Johann Strauß und die Stadt an der schönen blauen Donau
geschilderte Sachverhalt keinesfalls als etwas Außergewöhnliches gewertet werden
muß. Wie heißt es doch in dem Spruch: "Net jeder Zigeiner is e Musikant, awwer
jeder Musikant is e Zigeiner." Es wäre falsch, diesen Satz aus rein materiellen
Gesichtspunkten zu zitieren. Ohne die Wichtigkeit der Gagen zu minimalisieren,
muß allerdings eingeräumt werden, daß es vielmehr der künstlerische Ehrgeiz ist,
der so manchen Musiker zur individuellen Entfaltung drängt, um so seinen
angestauten kreativen Potentialen neue Freiräume zu verschaffen. Die gewöhnlich
Unter Donner und Blitz (Titel einer Schnellpolka von Johann Strauß -
Sohn) ablaufenden Spaltungsprozesse von bekannten Musikkapellen führen
aber meist zu Neugründungen, die die kulturelle Szene beleben und selbst der
betroffenen Kapelle neuen Wind in die Segel blasen.
So geschah es auch in Jahrmarkt,
132 Jahre nach dem eingangs geschilderten Ereignis. Genau so wie die Trennung
Lanner - Strauß (Vater) in Wien zu einem Gesellschaftsereignis
besonderen Ranges hochstilisiert wurde, so entwickelte sich die Jahrmarkter
Spaltung Loris - Kaszner zu einem wahren Wettrennen, das zwei
Generationen lang dem Dorfleben in vielen auch musikentfernten Bereichen seinen
Stempel aufdrückte.
Die Loris-Kapelle
im Jahre 1956 - Hans Kaszner, in der Hocke, mit Bariton; Mathias Loris, stehend 3. v. l., mit Trompete |
Im Jahre 1957 bestand die
Loris-Kapelle bereits seit 49 Jahren, und sie hatte sich stets
erfolgreich im Konkurrenzkampf mit den Kapellen Jauch,
Kelter, Kreuter und Kern behauptet. Es war
darum nicht zu erwarten, daß die neue Kapelle, die von einem der Leistungsträger
der Loris-Kapelle, dem 30-jährigen Hans Kaszner, gegründet
worden war, zu einem ernsten Konkurrenten heranwachsen würde. Hans Kaszner
beschritt aber mit seinen Mannen neue Wege. Er gab der Orchestertanzmusik, in
der das Akkordeon und der Gesang die Melodieführungen übernahmen, den Vorrang
vor der traditionellen Blas- und Streichmusik. Hans Kaszner orchestrierte
die neuesten deutschen Schlager, die über die Radios auch das Banat erreichten,
und weil alles Neue schnell sowohl Befürworter als auch Verwerfer findet, blieb
die Kapelle nicht nur im Gespräch, sondern auch im Geschäft. An Brisanz fehlte
es der Trennung Loris - Kaszner schon darum nicht, weil die zwei Familien
auch noch verwandt sind.
Hochzeit in Jahrmarkt,
1959 - Michael Tritz, Trompete; Nikolaus Jauch , Schlagzeug; Hans Kaszner, Akkordeon; Peter Tasch jun., Saxophon |
Sowohl Hans Kaszner als
auch Mathias Loris (geb. 1927), der ab 1960 die Loris-Dynastie
als vierter Kapellmeister fortführte, hatten aber bald erkannt, daß die Zukunft
ihrer Kapellen wesentlich von quantitativ und qualitativ entsprechendem
Nachwuchs abhängen werde. Beide Kapellen wuchsen, und mit ihnen kristallisierten
sich die zwei Anhängerschaften zu wahren Musikparteien, deren Mitglieder (ohne
Parteibuch) mit einem Engagement für die Sache ihrer Partei stritten, daß so
mancher deutsche Politiker heute vor Neid ob soviel Zivilcourage erblassen
würde. Die Sache, das waren Hochzeiten, Bälle, Kerweihfeste und sogar
Begräbnisse. Die Folgen waren manchmal zerbrochene Wirtshausstühle,
eingeschlagene Köpfe, zerstrittene Familien, vereitelte Ehen, ja sogar
vorübergehende Festnahmen und Bußgelder.
Der Konkurrenzkampf eskalierte
im Jahre 1971 zum landesweit bekannt gewordenen "Musikantenkrieg in Jahrmarkt".
In einer Leserbrief-Serie der Tageszeitung NEUER WEG wurden zu diesem Thema
sogar Zivilisationsschrittmacher wie Platon und Goethe bemüht,
denen 'm Berwanger sei Niklos bereits in der PIPATSCH die an
Shakespeare oder auch an Gottfried Keller angelehnte Erzählung
Romeo, Julia un die Blechmusich vorausgeschickt hatte.
Die Söhne der beiden
Kapellmeister, Mathias Loris jun., Hans Kaszner jun. und Helmut
Kaszner, hatten die Berufsmusikerlaufbahn eingeschlagen, was beiden Kapellen
in den siebziger Jahren zu großen Qualitätsfortschritten verhalf. Beide Kapellen
bestritten in der Faschingszeit zweiteilige Konzertabende mit konzertanter
Blasmusik und modischer Unterhaltungsmusik. Liest man heute in "alten" deutschen
Zeitungen aus Rumänien Berichte über die Jahrmarkter Blasmusikkonzerte und stößt
auf Namen wie Ludwig van Beethoven, Jacques Offenbach, Ciprian
Porumbescu, Franz Lehar, Felix Mendelssohn-Bartholdy, John
Philip Sousa, Karl Michael Ziehrer, aber auch Peter Loris,
Peter Focht, Franz Stürmer u. a., so kann man sich ein Bild von den Niveaus
dieser Konzertabende machen.
Im Jahre 1986 war dann alles
vorbei. Während die Loris- und Kaszner-Kapellmeister längst in
Deutschland lebten, ging in Jahrmarkt unter der Leitung von Martin Schütt
der letzte "Musikantenball", wie die Jahrmarkter ihre Konzertabende nannten,
über die Bühne. Martin Schütt über das Ende der bewegten Jahrmarkter
Blasmusikgeschichte: "Wir hätten auch im 1987 noch ein Musikprogramm auf die
Bühne gebracht. Die Funktionäre vom Comitet pentru Artă şi Cultură Socialistă aus Temeswar hatten uns aber zur Auflage gemacht, daß
unser Aufführungsprogramm zu 70 Prozent aus rumänischen Kompositionen bestehen
müsse. Dabei waren die Genossen noch so kulant, daß sie uns für das restliche
Programm internationaler Musikliteratur auch deutsche Blasmusik- und
Orchesterwerke genehmigten. Wir haben dann lieber ganz auf den Musikantenball
verzichtet.
Jahrmarkter Musikanten beim HOG-Treffen in Reutlingen,1985 1. Reihe, links: Hans Kaszner jun. 1. Reihe, rechts: Mathias Loris jun. |
Heute leben in Jahrmarkt keine
deutschen Musikanten mehr. Nur der Vetter Lasi, ein "waschechter
Johrmarker vun rumänische Eltre", der schon in den 30er Jahren in der
Loris-Kapelle die Trompete blies, spielt angeblich noch ab und zu auf
dem Friedhof, wenn einer seiner Landsleute beerdigt wird. Was mag ihn wohl
bewegen, wenn seine Totenlieder über die zubetonierten Gräber seiner deutschen
"Landsleute" klingen?
Viele Jahrmarkter Musikanten
spielen heute in Blaskapellen und Orchestern in Deutschland, und wenn sie
sich zufällig oder auch absichtlich treffen, dann reden sie über Jahrmarkt
und die Musik.
Anton Potche
(A. d. V.: Hans Kaszner spielte bereits im Herbst 1956 mit
seiner eigenen Kapelle. Also muss man das Jahr 1956 als Gründungsjahr der
Kaszner-Kapelle in Betracht ziehen. - Anton Potche, 09.12.2014)
aus BANATER POST, München,
20. April 1994
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