Dienstag, 7. Januar 2014

Die Ohnmacht eines Banater Knechts

Das Buch ist neu, aber nicht die Geschichte, die es beinhaltet. "Ärger wie die Hund'" ist bereits vor 20 Jahren in Rumänien erschienen. Jetzt liegt die Erzählung von Franz Heinz als Ausgabe der Rimbaud-Verlagsgesellschaft vor.
Auch der Melcher Pitt ist nicht aktuell. Es gibt ihn schon lange nicht mehr, den Helden dieser Erzählung. Er wurde aber Geschichte und hat seine Zeit überlebt. Der Knecht hat das Leben dort unten, am Ende der Monarchie, wo die Grenzen zwischen den Nationen mal fließend, mal messerscharf waren, nicht nur mitgeprägt. Er hat es auch mitgestaltet, oft unbewußt überhaupt ermöglicht.
Dabei hatte der Melcher Pitt, wie fast alle seinesgleichen, so wenig vom eigenen Leben. Für andere zu existieren, wird zum Trauma, wenn dieser Zustand die Bewußtseinsgrenze des Individuums erreicht. Melcher erlebte den Schock dieser Erkenntnis, als er, wie ein Hund im Schnee liegend, die Flinte seines Herrn auf sich gerichtet spürte. Wer mag es heute, nach so vielen politischen und sozialen Beben, sagen können, ob dieser Knecht ein Einzel- oder ein Allgemeinfall war? Als Modell der Ärmsten gibt er eine literarisch hervorragend konturierte Figur ab. Sein scharfer Wahrnehmungs- und Urteilssinn stellt ihn in die Reihe der großen Volkshelden der deutschen Literatur. Bloß fehlt ihm die Kraft zum Kampf. Sein Aufbäumen wendet sich nicht gegen die Obrigkeit. Der Melcher Pitt versenkt seine Wut in die Kubiklöcher der Maroschebene. Er setzt durch sein Handeln keine Volksmassen in Bewegung und bringt keine Fürsten zum Zittern, wie Schillers Tell oder Kleists Kohlhaas. Trotzdem findet auch der gedemütigte Knecht den Schlüssel zur Vergeltung. Diese wiederum birgt keine Rachetat in sich, sondern begnügt sich mit bloßer Verachtung.
Dann schließt man das Buch und liest auf dem Rückumschlag: "Franz Heinz wurde 1929 in Perjamosch, Banat, geboren." Instinktiv folgt die Subtraktion und der, eine gewisse Erwartung beinhaltende, Gedanke, daß viele Autoren nach ihrem 60. Lebensjahr Meisterwerke der Literatur geschaffen haben.
Anton Potche

aus BANATER POST, München, 20. April 1992

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